Bauen ist eine Kunst, vor allem für Menschen
Architektur ist Dienstleistung, findet Anne Mense. Deshalb sieht sie die eigentliche Aufgabe der
Architekten darin, die offenen oder versteckten Wünsche der Bauherren aufzuspüren und ihre
Sehnsüchte gebaute Realität werden zu lassen. Über die Rolle von Architektekten als Traumerfüller
und Moderatoren, als Baumanager und Kalkulatoren sprach Beate Schwedler mit der Dortmunder
Architektin Anne Mense.
B.S.: Wie würden Sie den Baustil der Anne Mense
beschreiben?
Anne Mense: (lacht) Da fängt das Problem mit der Definition
schon an. Ich habe keine grundsätzliche Vision davon, wie Gebäude
aussehen sollten – etwa immer organisch oder immer kubisch.
Meine Liebe gilt immer dem einzelnen Objekt, das eine bestimmte
Geschichte hat, eine Ausstrahlung, eine Nachbarschaft und vor
allem Menschen, die es später bewohnen und mit Leben füllen
wollen. Ich baue nicht immer dasselbe – es kann etwas ganz
Modernes werden oder etwas romantisch Verwinkeltes.
B.S.: Sie haben also nicht den Anspruch, dass die
Menschen an einem Objekt von ihnen vorbei
gehen und sagen „Aaaah! Ein Mense- Bau!“
Anne Mense: Nein, auf keinen Fall. Ich bin Architektin aus
Überzeugung und Leidenschaft. Aber ich habe den Anspruch, dass
die Menschen, die das Gebäude später bewohnen oder nutzen, froh
und glücklich sind und sich dort wohl fühlen. Es geht mir vor allem
darum, den Wunsch der Bauherren, vielleicht sogar ihre
Sehnsüchte zu erfüllen.
B.S.: So etwas nennt man manchmal etwas abfällig
„Dienstleister“
Anne Mense: Ich habe nichts gegen diese Bezeichnung. Man
muss sich klar machen, wie schwierig es manchmal sein kann,
Wünsche zu erfüllen. Zudem muss ein Gebäude ja sehr, sehr viele
Funktionen erfüllen, es muss leicht zu pflegen sein, es sollte keine
Energie verschwenden, es soll auch in etlichen Jahren noch gut
funktionieren... Vor allem aber ist es ein aufwändiger, aber
spannender Prozess, die Wünsche überhaupt erst einmal zu
formulieren – oft geht es ja um mehrere Menschen...
B.S.: ... die nicht immer das Gleiche wollen.
Anne Mense: So ist das Leben. Bei Ehepaaren, die ein
gemeinsames Haus planen, ist es oft so, dass der gemeinsame
Traum eigentlich ein Kompromiss für beide ist.
Wenn ich das Gefühl habe, dass unterschwellig vielleicht etwas
ganz anderes gewünscht wird, dann bitte ich zu Einzelgesprächen
und versuche herauszufinden, welches Bedürfnis tatsächlich
zugrunde liegt.
B.S.: Wie sieht das im konkreten Fall aus?
Anne Mense: Konkret kann das bedeuten, dass sich jemand
ein Ankleidezimmer wünscht, was sich baulich oder finanziell nicht
realisieren lässt. Ich versuche dann herauszufinden, was hinter
dem Wunsch nach einem Ankleidezimmer steckt: Ein Raum nur für
mich alleine? Eine Ecke, wo ich meine Sachen ungestört
anprobieren kann? Ich muss mich in die Kunden hineinversetzen –
denn es sind ja nicht immer meine Wünsche. Und vielleicht ist der
eigentliche Wunsch dann auf anderen Wegen zu realisieren.
B.S.: Da liegt manchmal wohl Konfliktstoff im
zwischenmenschlichen Bereich. Bei professionellen
Bauherren gibt es sicherlich klarere Zielvorgaben.
Anne Mense: Das Prinzip ist immer dasselbe. Wir sind ja alle
Menschen mit Vorstellungen davon, wie etwas zu sein hat, das wir
als gut empfinden.
Dies gilt genauso für Bauherren von Bürogebäuden,
Investorenprojekten oder öffentliche Auftraggeber. Auch bei diesen
Bauherren ist die Moderation der Entscheidungsfindung ebenso
wichtig und manchmal noch umfangreicher, weil es komplexere
Anforderungen sind.
B.S.: Oder weil verschiedene Berufsgruppen
zusammenkommen.
Anne Mense: Ja, ein Beispiel hierfür ist die Erarbeitung des
Ausstellungskonzeptes für die Glashütte Gernheim. Da haben
sowohl diejenigen, die später das Museum vermarkten, als auch
die Museumswissenschaftler einen ganz eigenen Blick darauf, wie
die Ausstellung später aussehen soll. Oder beim Umbau einer
Büroetage für ein expandierendes Ingenieurbüro habe ich eng mit
der Unternehmensberaterin zusammen gearbeitet, die aus ihrer
Sicht für die anzupassenden Bürostrukturen Ansprüche formulierte.
Später wurden die Entwürfe dann mit der Geschäftsführung und
allen Mitarbeitern des Büros gemeinsam diskutiert.
Diese neuen Räumlichkeiten haben übrigens das Wohlgefühl im
Arbeitsbereich als auch die Außendarstellung des Büros so positiv
gefördert, dass dieses Büro seine Umsätze in kurzer Zeit
verdoppeln und die Belegschaft wie geplant erweitern konnte.
Als Architektin bin ich in zwei Rollen: Ich muss herausfinden, was
das Bedürfnis des Auftraggebers ist und ich entwickle Ideen, wie
wir die Wünsche umsetzen können. Dabei muss ich meine Ideen
für alle Beteiligten nachvollziehbar darstellen. Ich arbeite natürlich
auch mit 3D- Computersimulationen. Oft sind Modelle aber besser:
Alle Beteiligten wissen dann genau, was sie erwartet.
B.S.: Ist denn jeder Wunsch erfüllbar?
Anne Mense: Auf jeden Fall. Ich habe von Anfang an die
Kosten im Blick und im Griff.
Mein Anspruch ist, tatsächlich die Wünsche mit dem vorhandenen
Budget zu erfüllen. Das erfordert natürlich auch, viel Energie in die
Vorphase zu stecken – vor dem eigentlichen Entwurf. Da geht es
ans Eingemachte, weil eben die Klarheit über das, was gebaut
werden soll, hergestellt werden muss.
Dadurch schaffe ich es, dass später alle zufrieden sind und das
Budget passt.
Der Weg, wie wir die Entscheidungen getroffen haben und wie wir
alle Wünsche und Sehnsüchte soweit möglich integriert haben, ist
das Wichtigste. Dann kann ein Ankleidezimmer auch entfallen, weil
wir den dahinterliegenden Wunsch umsetzen können.
B.S.: Wie gehen Sie vor, um möglicherweise
versteckte Wünsche herauszufinden?
Anne Mense: Manchmal lasse ich meine Bauherren zum
Beispiel assoziieren. Manchmal lasse ich sie mit Dachlatten
experimentieren – manchmal entwickelt sich so etwas ganz Neues.
Wenn ich in einen Raum hineinkomme, weiß ich sofort, wie man
etwas umsetzen könnte, aber für die Kunden ist das nicht so
selbstverständlich. Es geht mir darum, sie mitzunehmen auf diese
Reise.
B.S.: Das erfordert nicht nur Bauerfahrung,
sondern auch soziale Kompetenz. Woher kommt
die?
Anne Mense: Meinen Beruf als Architektin übe ich ja bereits
seit 20 Jahren aus. Gerade im Bereich Bauen im Bestand ist die
Bauerfahrung Gold wert. Es gibt nicht viele bauliche Probleme, die
mich noch überraschen können, was sich für die Bauherren vor
allem bei der passgenauen Kostenschätzung, im wahrsten Sinne
des Wortes, bezahlt macht. Was die kommunikative Ebene angeht:
In meinem ersten Berufsleben war ich Krankenschwester und habe
dabei lange als Therapeutin gearbeitet. Für mich baut mein
heutiges Tätigkeitsfeld logisch aufeinander auf, auch wenn das
manche sicher merkwürdig finden. Aus dem Therapeutischen kenne
ich Methoden, um mit dem Kunden seine Wünsche besser heraus
arbeiten zu können. Dabei geht es natürlich nicht um tiefgreifende
psychologische Analysen, sondern es geht um Assoziationen, um
das Spielerische.
B.S.: Man könnte also sagen, Architektin zu sein
bedeutet, einen Kommunikationsberuf auszuüben.
Anne Mense: So verstehe ich meinen Beruf. Es geht um
Kommunikation mit Bauherren, aber natürlich auch mit
Handwerkern und Fachplanern. Nur wenn alle ihr bestes geben ist
das Ergebnis voll zufriedenstellend. Aber man muss es ja auch mal
so sehen:
Die Bauherren setzen viel Vertrauen in mich, es geht um ihr Geld
und ihren Traum.
Davor muss man Respekt haben und nicht einfach das bauen, was
einem selbst gefallen würde oder Experimente mit ungewissem
Ausgang starten. Die Bauherren müssen sich voll auf mich und
meine Fähigkeiten verlassen können.
B.S.: Wissen die Auftraggeber dein besonderes
Kommunikationspotenzial zu schätzen?
Anne Mense: Ja, das merkt man deutlich. Ich baue auch
relativ viele exotische Sachen. Die komplizierten Sachen, die
fliegen mir so zu. Wie etwa ein Schiff in Henrichenburg, ein
rostiger Kahn, das ich für den Landschaftsverband zum
Veranstaltungsraum umgebaut habe und das zudem das erste
autarke Solarschiff in NRW wurde. Viele unterschiedliche Interessen
und Anforderungen waren unter einen Hut zu bringen.
Oder der Umbau eines Gemeindehauses, bei dem von vornherein
klar war, dass es viele Interessenskonflikte gibt. Oder meine
Wohnprojekte....
B.S.: Besteht der Konflikt denn manchmal auch
darin, dass man als Architektin
gewissermaßen die Interessen eines
Gebäudes, seiner Historie oder der
Umgebung vertreten muss?
Anne Mense: Es ist natürlich schon mein Anspruch, die
Schönheit eines Gebäudes herauszustellen. Wenn es um Bauen im
Bestand geht, ist auch die Vermittlung dieser Schönheit wichtig. Bei
Ausstellungsgestaltungen in Museen beispielsweise, die in
historischen Gebäuden eingerichtet werden, gibt es manchmal die
Tendenz, dem Konzept den Charakter des Gebäudes zu opfern. Im
schlimmsten Fall werden alle Fenster schwarz verhängt. Ich bin der
Meinung, dass die Kunst gerade darin besteht, die Struktur und
Anmutung bestehender Objekte aufzunehmen und sie in einer
neuen Form fortzuführen. Deshalb habe ich hier andere Konzepte
vorgelegt, die sich auf die historischen Räumlichkeiten direkt
beziehen, sie einbeziehen. Wichtig ist, mit dem Material, den
Gegebenheiten umzugehen. Sonst bleibt das Gebäude bestenfalls
Hülle, womöglich sogar Fremdkörper.
B.S.: Auf ihrer Visitenkarte ist zu lesen „Neue
Wohn- und Arbeitsformen“, was ist damit
gemeint?
Anne Mense: Seit Jahren entwickle und realisiere ich
Wohnprojekte. Die Aufgaben wachsen mit mir. Angefangen mit
dem Thema. „Ökologische Wohngruppen“ über das Projekt
„Handfest“, ein Weiterbildungsprojekt für Frauen in
Handwerksberufen im ökologischen Bauen, bis hin zu
Wohnprojekten für die zweite Lebenshälfte. Zunehmend kommen
aber auch immer mehr Firmen auf mich zu, die eine interne
Änderung, sei es ein neues Unternehmensprofil oder einen
Generationswechsel von mir architektonisch umgesetzt haben
wollen